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25.09.2020

Alsbald darf eine zwar nicht sonderlich umfangreiche und auch nicht umfassende, aber dennoch grundlegende Veränderung der HOAI durch den zuständigen Verordnungsgeber erwartet werden, in der das bislang geltende zwingende Preisrecht zu Mindest- und Höchstsätzen für Grundleistungen innerhalb der Honorartafeln durch ein frei verhandelbares Preisrecht abgelöst wird, wobei die Honorarberechnungsvorgaben der HOAI regelmäßig nur noch als Orientierungshilfe gelten werden.

Ausgangslage

Mit Urteil vom 04.07.2019 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) den Grundcharakter der in Deutschland geltenden HOAI als zwingendes Preisrecht (verbindliche Mindest- und Höchstsätze) für die Vergütung der in der HOAI geregelten Grundleistungen der Architekten und Ingenieure für europarechtswidrig erklärt. Seither besteht in der praktischen Rechtsanwendung Unklarheit, ob und inwieweit die bisherigen Regelungen dennoch – bis zu einer Neuregelung des Verordnungsgebers – weiterhin wirksam sind, was hier allerdings nicht weiter vertieft werden soll.

Die besagte Neuregelung zeichnet sich jedenfalls zeitnah ab, denn das Bundeskabinett hat am 15.07.2020 zunächst den Entwurf zur Änderung des Gesetzes zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen und Änderung vergaberechtlicher Bestimmungen (ArchLG) beschlossen. Das ArchLG enthält die gesetzlichen Grundlagen, die die Bundesregierung zum Erlass einer Honorarordnung für Ingenieure sowie zum Erlass einer Honorarordnung für Architekten ermächtigen. Diese Verordnungsermächtigungen schreiben aktuell noch unter anderem vor, dass Mindest- und Höchstsätze für Honorare (zwingend) festzusetzen sind, die für die von der Honorarordnung erfassten Leistungen gelten sollen, und die nur in Ausnahmefällen durch schriftliche Vereinbarung unterschritten werden können.

Auf der Grundlage dieser Verordnungsermächtigungen hatte die Bundesregierung seinerzeit die geltende HOAI mit den für europarechtswidrig erklärten Mindest- und Höchstsätzen erlassen. Mit dem vorliegenden Entwurf zur Änderung dieser Ermächtigungsgrundlage soll der Weg bereitet werden, die Rechtsetzung durch Rechtsverordnung die HOAI dahingehend anzupassen, dass Mindest- und Höchstsätze in der Honorarordnung festgelegt werden können, aber nicht mehr festgelegt werden müssen. Der vorliegende Entwurf zur Änderung des ArchLG enthält daher auch in § 1 Abs. 1 Nr. 2 die Formulierung, dass zu regelnde Honorartafeln lediglich noch zur Honorarorientierung für Grundleistungen bzw. zur Abgrenzung von besonderen Leistungen dienen sollen und gem. Nr. 3 auch Regelungen erlassen werden können, die bei Fehlen einer schriftlichen Honorarvereinbarung bestimmte Honorarsätze aus den Honorartafeln für verbindlich erachten.

Regierungsentwurf vom 16.09.2020

Daran anknüpfend veröffentlichte am 24.08.2020 das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) zunächst einen Referentenentwurf über eine Änderungsverordnung zur HOAI, der in den am 16.09.2020 vorgelegten Regierungsentwurf mündete. In diesem wird nun konkret ausformuliert, was nach Vorstellung des Verordnungsgebers künftig gelten soll, um die nach dem EuGH europarechtswidrige Rechtslage zu beseitigen. Danach wird die HOAI künftig keine verbindlichen Mindest- und Höchstsätze mehr vorgeben, sofern die Vertragsparteien das Honorar unter Wahrung (zumindest) der Textform vereinbaren. Insoweit kommt den Honorartafeln und -sätzen künftig grundsätzlich nur noch empfehlender Charakter zu.

Grundsatz der Honorarfreiheit – HOAI als Orientierungshilfe

So spricht § 1 HOAI–RegE nun davon, dass die Regelungen der HOAI zum Zwecke der Honorarberechnung zugrunde gelegt werden können, aber eben nicht mehr zugrunde gelegt werden müssen. Im neu vorgesehenen § 2a Abs. 1 HOAIRegE wird zudem ausdrücklich klargestellt, dass die Honorartafeln lediglich „Orientierungswerte“ ausweisen, ausgehend vom jeweils unteren Spannenwert, der nun gem. § 2a Abs. 1 HOAI-RegE als „Basishonorarsatz“ – statt früher: „Mindestsatz“ – definiert wird, und dem „oberen Honorarsatz“, der bezeichnenderweise auch nicht mehr „Höchstsatz“ genannt wird, wie die Begrifflichkeiten „Mindestsatz“ und „Höchstsatz“ überhaupt durchgängig eliminiert wurden.

Die Honorarberechnung für Grundleistungen der Flächen-, Objekt- und Fachplanungen richtet sich dem Wortlaut nach zwar auch künftig gemäß § 6 Abs. 1 HOAI-RegE nach dem Leistungsbild, der Honorarzone und der Honorartafel, während letztere ausdrücklich nur noch zur „Honorarorientierung“ dienen soll. Dies wird aber nicht dahingehend zu verstehen sein, dass lediglich die Honorartafeln zur Orientierung dienen, sondern im Grunde die gesamte vorgegebene Methode zur Honorarermittlung, denn der lediglich empfehlende Charakter der künftigen HOAI steht quasi übergeordnet auch über der Regelung des § 6 Abs. 1 HOAI-RegE. Dementsprechend betont die Begründung des Regierungsentwurfs ausdrücklich, dass das Honorar für die von der HOAI erfassten Leistungen „immer auch auf anderem Wege, beispielsweise durch eine Stundensatzvereinbarung oder über eine Pauschale“ ermittelt werden kann. Insofern werden auch bspw. die bei der Objektplanung zusätzlich heranzuziehenden anrechenbaren Kosten nicht zwingend zu beachten sein, sondern können von den Vertragspartnern des Architektenvertrages (bzw. der Honorarvereinbarung) individuell geregelt bzw. als Honorarermittlungsfaktor auch für obsolet erklärt werden.

Honorarfreiheit neu bei Einhaltung mindestens der Textform

Diese (so jedenfalls hier vertretene) Lesart führt letztlich dazu, dass die Honorarberechnungsregeln der HOAI in jeglicher Hinsicht nur noch insoweit subsidiäre Anwendung finden, wie die Parteien keine wirksame individualvertragliche – und von
den Preisermittlungsvorgaben der HOAI freie – Honorarvereinbarung treffen. Wie eine solche Individualvereinbarung künftig auszusehen hat, regelt § 7 Abs. 1 HOAI-RegE, wonach künftig lediglich noch eine „Vereinbarung in Textform“ erforderlich
ist. Damit würde nicht nur das bislang strengere Schriftformerfordernis obsolet, sondern auch die in der Rechtspraxis regelmäßig zu Problemen – und zur Geltung des Mindestsatzes – führende Erforderlichkeit einer Honorarvereinbarung „bei Auftragserteilung“. Dem Wortlaut der beabsichtigten Neuregelung, aber auch der dazu gegebenen Begründung des Regierungsentwurfs zufolge, soll folglich eine Honorarvereinbarung künftig auch noch nach Auftragserteilung wirksam geschlossen
werden können. Diese ganz erhebliche Vereinfachung der formalen Anforderungen an eine wirksame Honorarvereinbarung dürfte damit den Anwendungsbereich der Preisregelungen der HOAI tatsächlich nur noch auf den Fall reduzieren,
in dem die Parteien aus welchen Gründen auch immer weder vor noch nach Auftragserteilung über das Honorar nicht einmal in Textform Einigkeit erzielen. Die Textform wird in § 126b BGB dahingehend definiert, dass die Erklärungen der Vertragsparteien lediglich in einer lesbaren und auf einem dauerhaften Datenträger vorliegen müssen und die Person des jeweils Erklärenden erkennen lassen. Von daher sind auch Einigungen etwa per wechselseitiger Emails möglich, ohne dass es einer Unterschrift oder elektronischen Signatur bedürfte.

Die neuen Regelungen der HOAI würden daher richtigerweise tatsächlich nur noch in jenen (wohl seltenen) Fällen eingreifen, in denen es selbst an einer auch nur in Textform niedergelegten Honorarvereinbarung fehlt. Dann – und nur dann –
greift nämlich die Auffangregelung nach § 7 Abs. 1 S. 2 HOAI-RegE ein, wonach (widerleglich) vermutet wird, dass das Honorar zum sogenannten „Basishonorarsatz“ entsprechend der übrigen Preisvorgaben vereinbart wurde. Dennoch könnte
selbst eine solche Vermutung noch nachträglich durch mindestens in Textform abgefasste Honorarvereinbarung überlagert werden.

Vor diesem Hintergrund müssen auch die schon bekannten übrigen Regelungen der HOAI 2013, in denen schriftliche Vereinbarungen über eine nachträgliche Honoraranpassung erforderlich war, nur noch als Auffangregelungen begriffen werden. Die
bislang in § 7 Abs. 6 HOAI 2013 vorgesehene Regelung über Bonus-/Malusregelungen wurde dementsprechend ersatzlos gestrichen, aber auch Leistungsänderungen oder Wiederholungsplanungen (§ 10 HOAI-RegE) werden künftig nur noch in
jenen Fällen Berücksichtigung finden, in denen es an einer grundlegenden Honorarvereinbarung in Textform fehlt, die den Anwendungsbereich dieser Normen betrifft. Ein Pauschalhonorar oder eine Stundensatzvereinbarung können je nach Auslegung des vertraglich vereinbarten Abgeltungsbereichs daher selbst dann Vorrang genießen, wenn es insoweit an einer ausdrücklichen Regelung zum Umgang mit Änderungs- oder Wiederholungsplanungen fehlt.

Vorgesehenes Inkrafttreten

Die Änderungsverordnung zur HOAI soll zum 01.01.2021 in Kraft treten. Die Neuregelungen werden für ab dem Inkrafttreten erstmals geschlossene Vertragsverhältnisse anzuwenden sein. Wenngleich das Normsetzungsverfahren noch
nicht abgeschlossen ist (das ArchLG bedarf noch der Verabschiedung und der Bundesrat muss der Änderungsverordnung zur HOAI noch zustimmen) und weitere Veränderungen oder Verzögerungen möglich sind, darf dennoch angenommen werden, dass die zuvor dargestellte grundlegende Änderung – weg vom zwingenden Preisrecht und hin zu frei verhandelbaren Honoraren – jedenfalls zeitnah in Kraft treten wird.

Auswirkungen auf die Praxis

Inwieweit die Neuregelungen auch nennenswerte Veränderungen in der Vertragspraxis mit sich bringen, bleibt abzuwarten. Sicherlich wird auch künftig vielfach an der Verwendung von Vertragsmustern festgehalten werden, die Honorare anhand der
Honorartafeln bzw. der Regelungen der HOAI vorsehen, wie dies schon aktuell der Fall ist. Spannend wird lediglich sein, inwieweit die Vertragsparteien nun tatsächlich von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Preise auszuhandeln.

Architekten und Ingenieure werden sich darauf einstellen müssen, die von ihnen verlangten Honorare nachträglich nicht mehr über den juristischen „Winkelzug“ der sog. Mindestsatzunterschreitung erhöhen zu können. Der Vergangenheit werden
daher definitiv jene Streitigkeiten angehören, in denen schriftlich vereinbarte Honorarsätze oder Honorarzonen nachträglich mit der Begründung für nichtig erklärt werden, dass hierdurch der (tatsächlich höhere) Mindestsatz unterschritten wurde
und dieser statt der schriftlichen Vereinbarung gilt. Diese in der Praxis gar nicht so seltene „Auftragsakquise“ über nur vermeintlich günstige Honorare von Architekten und Ingenieuren wird künftig nur noch in den erwartungsgemäß seltenen Fällen
möglich sein, wenn nicht einmal die Textform gewahrt sein sollte, also etwa bei rein mündlichen Aufträgen. Regelmäßig wird aber künftig ein echter Preiswettbewerb möglich sein, soviel dürfte jetzt schon feststehen.

Christian Zeiske
Rechtsanwalt