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17.09.2019

Der zu Unrecht ausgeschlossene Bieter kann Schadenersatz wegen unterbliebenen Zuschlags beanspruchen, selbst wenn er eine gegen den Vergabeverstoß gerichtete Rüge zurückgenommen und von einem Nachprüfungsverfahren abgesehen hat. Nimmt er die Rüge auf Bitten der Vergabestelle zurück, fällt ihm nicht einmal ein Mitverschulden zur Last.

BGH, Urteil vom 17.09.2019 – X ZR 124/18

Bei einer Ausschreibung von Lärmschutzwänden entlang einer Bahnstrecke wurde der erstplatzierte Bieter wegen eines fehlenden Verwendbarkeitsnachweises von der Wertung ausgeschlossen, der in einer Richtlinie gefordert war, die der Ausschreibung zugrunde lag. Der Bieter rügte den Ausschluss zunächst als vergaberechtswidrig, da die angebotenen Wandelemente den in der Richtlinie vorgesehenen statischen und konstruktiven Anforderungen genügten, und reichte schließlich auch den zwischenzeitlich erhaltenen Verwendbarkeitsnachweis nach. Er nahm auf Bitten des Auftraggebers, der die fristgerechte Durchführung der ausgeschriebenen Baumaßnahme sicherstellen wollte, die wegen der erforderlichen zeitweiligen Streckensperrungen und Zugumleitungen eine langfristige Planung erforderte, die Rüge zurück. Der Auftraggeber erteilte den Zuschlag auf ein anderes Angebot.

Ein Nachprüfungsverfahren hat der Bieter nicht eingeleitet, er forderte stattdessen Schadenersatz, womit er erstinstanzlich vor dem Landgericht noch scheiterte, der ihm jedoch in der Berufungsinstanz zugesprochen wurde. Hiergegen wandte sich der Auftraggeber mit der Revision beim Bundesgerichtshof.

Entscheidung des Gerichts

Der BGH wies die Revision zurück. Wegen des als vergaberechtswidrig erkannten Ausschlusses des Angebotes des Bieters war dieser in seinen Rechten verletzt und konnte gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB Schadenersatz verlangen. Da ihm der Zuschlag hätte erteilt werden müssen, war dem Bieter durch die Vergabe des Auftrags an einen Mitbewerber der geltend gemachte Schaden entstanden.

Dass der Bieter davon abgesehen hat, im Vergabeverfahren Rechtsmittel zu ergreifen, stand der Möglichkeit zur späteren Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht entgegen. Denn wie der BGH schon zuvor im Urteil vom 18.06.2019 (Az. X ZR 86/17, VPRRS 2019, 0261) erkannt hat, ist der in § 160 Abs. 3 GWB geregelte Verlust von Rechtsmitteln auf Schadensersatzansprüche nicht anwendbar. Auch die Bindungswirkung von Entscheidungen im vergaberechtlichen Instanzenzug gemäß § 179 GWB stünde dem nicht entgegen, da diese nur einschlägig ist, wenn dieser Instanzenzug überhaupt beschritten wird. Selbst die Rücknahme der Rüge durch den Bieter betrachtete der BGH als unschädlich, so dass auch kein Mitverschulden des Bieters nach § 254 BGB vorlag, da dies auf Initiative des Auftraggebers geschah.

Hinweis für die Praxis

Nach § 160 Abs. 3 GWB kann sich der Bieter nur unter strengen Form- und Fristerfordernissen gegen Vergaberechtsverstöße zur Wehr setzen und ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer betreiben (sog. vergaberechtlicher „Primärrechtsschutz“). Mit der vorliegenden Entscheidung (und der genannten Vorentscheidung) stellt der BGH jedoch klar, dass diese Erfordernisse nur im Vergabeverfahren selbst gelten, also für das Begehren des Bieters auf Bezuschlagung seines Angebotes.

Entgegen anderslautender Stimmen in der Fachliteratur seien diese Form- und Fristerfordernisse des § 160 Abs. 3 GWB jedoch nicht auf Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Vergabe übertragbar. Nach dem Urteil des BGH vom 18.06.2019 (a.a.O.) gilt das auch, wenn ein Bieter nach Zurückweisung einer Rüge kein Nachprüfungsverfahren einleitet.

Ob dies auch in den Fällen zu gelten hat, in denen der Bieter selbst die Rüge des Vergabeverstoßes unterlässt und der Vergabestelle damit nicht einmal Gelegenheit zur Korrektur gibt, bleibt insoweit offen. Konsequenterweise dürfte das allerdings den grundsätzlich bestehenden Schadenersatzanspruch nicht unmittelbar tangieren, sondern über ein dem Bieter eventuell zuzurechnendes Mitverschulden zu lösen sein, wenn er die Rüge gegen den Vergabeverstoß von vornherein nicht bzw. nicht frist- oder formgerecht erhebt.

Zu Unrecht ausgeschlossene Bieter können jedoch auch bei „Oberschwellenwertvergaben“ noch nach Jahren (bis zum Eintritt der Verjährung) Schadenersatz wegen unterbliebener Zuschlagserteilung verlangen („Sekundärrechtsschutz“), selbst wenn sie von einem Nachprüfungsverfahren abgesehen haben. Wie dargelegt, kommt dies selbst dann in Betracht, wenn sie den Vergaberechtsverstoß erst nach Ablauf der Fristen oder nach Zuschlagserteilung an einen Mitbewerber erkannt haben. Da es im Bereich der „Unterschwellenvergaben“ regelmäßig kein Nachprüfungsverfahren gibt, dürfte sich damit auch die Streitfrage erledigt haben, ob ein Bieter vor Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs mittels einstweiliger Verfügung gegen die Zuschlagserteilung gegenüber einem Dritten zur Wehr setzen muss. Für die Vergabestellen bedeutet dies im Ergebnis ein veritables Haftungsrisiko bei schuldhaft fehlerhaften Vergabeverstößen. Zu Unrecht ausgeschlossene Bieter sind gut beraten, etwaige Schadenersatzansprüche zu prüfen.

Christian Zeiske
Rechtsanwalt