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04.09.2019

Nichts anderes als eine Revolution ist das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 8. August 2019 (VII ZR 34/18). Das Urteil wird jedenfalls mittelfristig dazu führen, dass der Auftraggeber den Auftragnehmer auch beim VOB/B-Vertrag nicht mehr dazu zwingen kann, die Vergütung für Nachtragsleistungen aus der Urkalkulation zu entwickeln.

BGH; Urteil vom 08.08.2019 – VII ZR 34/18

Worum geht es konkret?

Der Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Auftragnehmer war mit der Ausführung von Abbrucharbeiten beauftragt. Für die Entsorgung von Bauschutt haben die Parteien 462,00 €/t vereinbart. Der Auftragnehmer hat die Leistung wie folgt kalkuliert

eigene Verladekosten: 40,00 €
Fremdkosten: Deponie- und Transportkosten 292,00 €
Fremdkosten: Containerstellung 60,00 €
Zuschlag auf Fremdkosten (20%) 70,00 €
Einheitspreis 462,00 €

Aufgrund der örtlichen Verhältnisse (nicht aufgrund einer Umplanung) erhöht sich die Menge auf knapp 84 t. Der Auftragnehmer verlangt für die Mehrmenge einen Einheitspreis von 406,00 € pro Tonne netto. Diesen Preis hat er auf Basis seiner Urkalkulation berechnet und nur einen Abschlag für die Containerkosten vorgenommen.

Auf Nachfrage erklärt der Auftragnehmer, dass die tatsächlichen Fremdkosten für Deponie, Transport und Container nur bei 92 € pro Tonne netto lagen. Der Auftraggeber ist bereit, diesen Betrag mit dem Zuschlag von 20 % zu versehen und zahlte rund 110,00 € pro Tonne.

Der Auftragnehmer besteht auf dem auf Basis der Urkalkulation berechneten Einheitspreis von 406,00 € pro Tonne und klagt den aus seiner Sicht offenen Betrag ein.

Die BGH-Entscheidung und ihre Begründung

Der BGH spricht dem Auftragnehmer im Ergebnis eine Vergütung für die Mehrmengen in Höhe von etwa 150,00 €/t zu. Das entspricht den tatsächlichen (nicht den kalkulierten) Fremdkosten von € 92,00 zuzüglich eines Zuschlags von 20 % sowie zuzüglich der eigenen Verladekosten.

Das Gericht stellt klar, dass die Mehrmengen nach den tatsächlich erforderlichen Kosten, nicht aber nach den kalkulierten Kosten zu vergüten sind. Zur Begründung führte es aus, dass § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B nicht konkret vorgebe, wie die Vergütung von Mehrmengen zu erfolgen habe. Nach Ansicht des Gerichtes sei entscheidend, was die Vertragsparteien bei angemessener Abwägung der Interessen vereinbart hätten, wenn sie bereits bei Vertragsabschluss das Entstehen von Mehrmengen bedacht hätten. Dabei entspräche es der Redlichkeit, dass keine der Parteien durch die Mehrmengen einer Besser- oder Schlechterstellung erfahren solle. Keine Seite solle zum Nachteil der anderen von der Mengenmehrung profitieren. Deshalb sei nur die Bemessung der neuen Preise auf Basis der tatsächlichen Kosten sachgerecht.

Etwas anderes gelte dort, wo sich die Parteien bereits geeinigt hätten. Das sei im vorliegenden Fall im Hinblick auf den Zuschlag für die Fremdkosten (20 %) der Fall. Denn diesen Zuschlag habe der Auftraggeber akzeptiert.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes wird von den meisten Baujuristen vollkommen zu Recht als Revolution verstanden. Bislang ist die Regelung des § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B mehrheitlich so verstanden worden, dass die Mehrkosten auf Basis der Urkalkulation zu berechnen seien.

Die Bedeutung der Entscheidung geht weit über den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B – also Mehrmengen – hinaus. Dies deshalb, weil sich die Problematik der Mehrkostenberechnung auch bei Änderungs- und Zusatzwünschen des Auftraggebers im Rahmen eines VOB/B-Vertrages (Anordnungen nach § 2 Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B) in gleichem Maße stellt.

Bislang ungeklärt ist, ob der BGH auch bei solchen Anordnungen nichtmehr auf die Urkalkulation, sondern auf die tatsächlich erforderlichen Kosten abstellt. Davon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn die Parteien sich nicht auf eine Art und Weise der Berechnung der Nachtragsvergütung geeinigt haben. In einer älteren Entscheidung hat der Bundesgerichtshof in diesem Sinne entschieden, dass die Herleitung aus der Urkalkulation jedenfalls dann zu erfolgen hat, wenn die Parteien sich auf diese Art und Weise der Berechnung der Nachtragsvergütung geeinigt haben. Hat der Auftragnehmer beispielsweise seine bisherigen Nachträge aus der Urkalkulation hergeleitet (und hat der Auftraggeber dies akzeptiert), dann wird der Auftragnehmer auch zukünftige Nachträge weiterhin aus der Urkalkulation herzuleiten haben.

Bei neuen Verträgen kann dies indes anders sein. Hier kann man dem Auftragnehmer letztlich nur raten, klarzustellen, dass er seine Nachträge nicht mehr auf Basis der Urkalkulation kalkulieren möchte.

Auftraggeber könnten die Frage vertraglich regeln, d. h. die Herleitung aus der Urkalkulation im Vertrag ausdrücklich vorschreiben. Allerdings führt das zu Folgeproblemen: Zum einen könnte in einer solchen Vereinbarung eine Abweichung von der VOB/B zu sehen sein, die die Inhaltskontrolle der VOB/B nach dem AGB-Recht eröffnet. Zum anderen ist die Wirksamkeit einer solchen Klausel in AGB zweifelhaft, weil nach dem Gesetz die Nachtragsvergütung auf Basis der tatsächlich erforderliche Kosten zu erfolgen hat (§ 650c Abs. 1 BGB).

Wir gehen davon aus, dass letztlich ohnehin kein Weg an der Vergütung von Nachtragsleistung auf Basis der tatsächlichen Kosten vorbei gehen wird. Denn dieser Berechnungsweg ist der erklärte Wille des Gesetzgebers, der die Herleitung aus der Urkalkulation als ungerecht empfindet. Das ergibt sich aus der Begründung der Bauvertragsreform 2018. Deshalb werden sich aus unserer Sicht Auftraggeber mittelfristig ohnehin von der Methodik der Herleitung aus der Urkalkulation verabschieden müssen.

Markus Fiedler
Rechtsanwalt