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Grundsatzurteil des BGH: Eigenbedarfskündigung - sorgfältige Einzelfallprüfung bei Härtefällen!

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24.05.2019

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass das Gericht im Räumungsprozess aufgrund einer Eigenbedarfskündigung jeden Einzelfall sorgfältig darauf prüfen muss, ob ein Härtefall des Mieters vorliegt.

BGH, Urteile vom 22.05.2018 – VIII ZR 180/18 und VIII ZR 167/17

Überblick

Die Eigenbedarfskündigung ist eine der wenigen Möglichkeiten des Vermieters, ein Wohnraummietverhältnis einseitig zu beenden.

Die Eigenbedarfskündigung ist § 573 BGB geregelt: danach kann ein Vermieter einen Mieter kündigen, wenn er Eigenbedarf für sich, seine Familie oder Angehörige seines Haushalts geltend macht. Der Mieter kann gemäß § 574 BGB der Kündigung des Vermieters widersprechen, wenn ein Härtefall vorliegt.

Die Gerichte haben diese Härtefälle in der Vergangenheit nur in Ausnahmefällen angenommen und die Fälle meist schematisch entschieden. So hat erst jüngst das Landgericht Berlin in einem Urteil vom 12.03.2019 (Az.: 67 S 345/18) entschieden, dass bereits das hohe Alter ohne Hinzutreten weiterer Umstände zur Annahme eines Härtefalls ausreicht.

Die Entscheidungen des BGH

Einer solchen schematischen Prüfung hat der BGH nun in zwei Verfahren (VIII ZR 180/18, VIII ZR 167/17) eine klare Absage erteilt. In beiden Verfahren hat der BGH an die Vorinstanz mit dem Hinweis zurückverwiesen, man habe die Fälle nicht ausreichend geprüft.

Hierbei betont der BGH, dass sich allgemeine Fallgruppen, in dem generell die Interessen einer Partei überwiegen, nicht bilden lassen. Da sowohl auf Seiten des Vermieters als auch auf Seiten des Mieters grundrechtlich geschützte Belange (Vermieter: Eigentum, Mieter: Gesundheit) betroffen seien, seien eine umfassende Sachverhaltsaufklärung sowie eine besonders sorgfältige Abwägung erforderlich, um im jeweiligen Einzelfall festzustellen, ob die Interessen des Mieters an der Fortsetzung des Mietverhältnisses diejenigen des Vermieters an dessen Beendigung überwiegen.

Dabei weist der BGH darauf hin, dass sich allgemeine Fallgruppen (Unmöglichkeit einer angemessene Ersatzwohnung zu finden, lange Wohndauer, Verwurzelung in der Wohngegend, schlechter Gesundheitszustand), in denen generell die Interessen einer Partei überwiegen, nicht bilden lassen. Die jeweiligen Faktoren wirken sich je nach körperlicher sowie psychischer Verfassung und Persönlichkeit des Mieters unterschiedlich stark aus. Dies rechtfertige deshalb keine schematische Anwendung allgemeiner Fallgruppen sondern erfordere eine sorgfältige Einzelfallprüfung.

So müssten die als Härtefall vorgetragene drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahr beim Fehlen eigener Sachkunde des Gerichts regelmäßig mittels Sachverständigengutachten abgeklärt werden. Hier müsse sich nicht nur ein an der Oberfläche haftendes Bild davon verschafft werden, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sein, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen werden und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten könne.

So führte der BGH weiter aus, dass ein Sachverständigengutachten regelmäßig von Amtswegen bereits dann einzuholen sein wird, wenn der Mieter eine zu besorgende Verschlechterung seines Gesundheitszustands durch ärztliches Attest belegt hat.

Ausblick

Da sich bei der Eigenbedarfskündigung um die häufigste Form der Beendigung von Wohnraummietverhältnissen (laut Deutschem Mieterbund ca. 80.000 Eigenbedarfskündigungen pro Jahr) handelt, ist diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs äußerst relevant für die wohnraummietrechtliche Praxis. Da sich nunmehr schematische Lösungen verbieten, kann jeder Einzelfall einer interessengerechten Lösung zugeführt werden.

Dieses unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit wünschenswerte Ergebnis wird jedoch bezahlt mit einem Verlust von Planungssicherheit: weder Vermieter noch Mieter können sich sicher sein, ob die Gerichte ihr jeweiliges Interesse an Beendigung bzw. Fortsetzung des Mietverhältnisses als überwiegend betrachten. Zudem werden Räumungsprozesse wegen Eigenbedarfskündigungen kostenintensiver, da häufiger Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen.

So kommentiert der Bundesdirektor des Deutschen Mieterbundes (DMB), Lukas Siebenkotten, die Urteile:

“Damit steigen die Chancen der Vermieter, eigene Eigenbedarfskündigung durchzusetzen, deutlich.”

Die Kosten des Sachverständigengutachtens über das Vorliegen eines Härtefalls muss der sich darauf berufende Mieter verauslagen und bekommt diese Kosten nur dann erstattet, wenn er im Prozess obsiegt. Dieses erhöhte Prozessrisiko wird so manchen Mieter von einem Prozess abhalten oder im Prozess zum gegebenenfalls nachteiligen Vergleich zwingen.

Martin Krah
Rechtsanwalt