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30.10.2019

1. Lediglich im Fall, dass die Vergabe- und Vertragsunterlagen offensichtlich falsch sind, folgt aus dem Grundsatz des Gebots zu korrektem Verhalten bei Vertragsverhandlungen eine Prüfungs- und Hinweispflicht des Auftragnehmers.
2. Unterlässt der Auftragnehmer in einem solchen Fall den gebotenen Hinweis, ist er nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gehindert, Zusatzforderungen zu stellen.

OLG Celle, Urteil vom 02.10.2019 – 14 U 171/18

Der (öffentliche) Auftraggeber schreibt zeitlich parallel auszuführende Straßenbau- und Straßenentwässerungsarbeiten aus. Die betroffene Straße besteht aus zwei Richtungsfahrbahnen und mittig liegenden Gleisen der Stadtbahn. Im LV der Entwässerungsarbeiten heißt es, der Bahnverkehr bleibe während der Bauarbeiten im Betrieb. Im LV der Straßenbauarbeiten ist von einer „Vollsperrung“ der „Fahrbahn“ die Rede. Dort wird auch auf einen Regelplan verwiesen, nach dem (nur) die Sperrung der Straße erfolge. Der Auftragnehmer macht rund € 350.000,00 Mehrkosten für die Ausführung der Straßenbauarbeiten bei laufendem Stadtbahn-Verkehr geltend.

Die Entscheidungen der Gerichte

Der Auftragnehmer hat weder vor dem Landgericht noch vor dem Oberlandesgericht Erfolg. Das Landgericht weist die Klage mit der Begründung ab, das Leistungsverzeichnis bezüglich der Straßenbauarbeiten sei erkennbar widersprüchlich. Da der Auftragnehmer darauf im Vergabeverfahren nicht hingewiesen habe, könne er keine Nachforderungen stellen. Das Oberlandesgericht (OLG) geht in der vom Auftragnehmer eingelegten Berufung sogar noch einen Schritt weiter: Es vertritt die Ansicht, dass das Leistungsverzeichnis auch für die Straßenbauarbeiten eindeutig sei: Die Stadtbahn bleibe während der Arbeiten in Betrieb. Denn zum einen sei nur von der Vollsperrung der „Fahrbahn“ und damit gerade nicht der Gleise die Rede. Zum anderen ergebe sich aus dem Regelplan auch für einen Laien, dass die Sperrung der Gleise nicht geplant sei. Schließlich habe der Auftragnehmer dem LV der Entwässerungsarbeiten entnehmen können, dass die Stadtbahn im Betrieb bleibe.

Hinweis für die Praxis

Auch wenn das Urteil im Ergebnis richtig sein mag, so sind die oben zitierten Leitsätze doch zumindest missverständlich. Der Bieter hat nicht nur bei offensichtlichen Ausschreibungsfehlern eine Prüfungspflicht, sondern stets. So muss er (im eigenen Interesse) die Ausschreibung dahingehend durchsehen, ob die Angaben für eine sichere Kalkulation ausreichend sind. Der Bieter muss also die Ausschreibungsunterlagen im Hinblick auf die notwendigen Angaben zur Kalkulation immer prüfen.

Im Hinblick auf technische Fehler oder Lücken gilt dies allerdings nur in stark eingeschränktem Maße. So muss er im Angebotsstadium nicht im Detail überprüfen, ob die Ausschreibung technisch vollständig und richtig ist. Ihn trifft aber eine Hinweispflicht bei offensichtlichen (ins Auge springenden) technischen Fehlern oder Unvollständigkeiten.

Stößt der Auftragnehmer auf technische Fehler oder Lücken, so darf bzw. muss er zunächst im Wege der Auslegung versuchen, diese zu eliminieren. Führt die Auslegung zu einem eindeutigen Ergebnis (zum Beispiel bei einem offensichtlichen Schreibfehler), dann muss der Auftragnehmer die Ausschreibung in diesem Sinne verstehen. Führt die Auslegung nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, so muss der Bieter den Ausschreibenden nach verbreiteter Ansicht darauf hinweisen. Teilweise wird auch die Meinung vertreten, der Auftragnehmer dürfe Fehler bzw. Lücken zu seinem Vorteil ausnutzen (OLG München, Beschluss vom 04.04.2013 – Verg 4/13). Ob der Auftragnehmer damit allerdings vor Gericht Erfolg haben wird, ist nach der o. a. Entscheidung mehr als zweifelhaft.

Markus Fiedler
Rechtsanwalt