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Keine Fachlosvergabe für einzelne Elemente eines komplexen Sicherheitssystems

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04.04.2019

1. Innerhalb der im Rahmen des § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB vorzunehmenden Interessenabwägung steht dem öffentlichen Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum bezüglich der Frage zu, ob – auftragsbezogene – technische oder wirtschaftliche Gründe es erfordern, von der Bildung von Fachlosen abzusehen. Dies umfasst auch die Einschätzung konkreter projektbezogener Risikopotenziale. Diese darf der Auftraggeber durch eine Gesamtvergabe ausschließen und damit den „sichersten Weg“ wählen.
2. Die Systemsicherheit einer komplexen Überwachungsanlage, bei der verschiedene Einzelleistungen ineinandergreifen, ist ein nachvollziehbarer Grund i. S. v. § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB.

OLG München, Beschluss vom 25.03.2019 – Verg 10/18
GWB § 97 Abs. 4

Problem/Sachverhalt

Ein öffentlicher AG schreibt zur Verbesserung der Sicherheit in einer Justizvollzugsanstalt diverse elektrotechnische Arbeiten in einem Gesamtlos aus. Diese umfassen unter anderem die Erneuerung der Beleuchtung des Sicherheitsstreifens, die technische Ausstattung des Sicherheitszauns, die Erneuerung der Videoüberwachungsanlagen und die Umrüstung von Außenabschluss- und Innentüren mit Motorschlössern und Transpondern. Ein Bieter rügt die mangelnde Aufteilung des Auftrages in Lose und stellt Nachprüfungsantrag. Die Vergabekammer gibt dem Antrag unter Berufung auf eine Entscheidung des OLG München aus 2015 statt (IBR 2015, 320), weil der AG die Frage, ob Fachlose zu bilden sind, nicht für jedes in Betracht kommende Fachgewerk getrennt geprüft und beantwortet habe.

Entscheidung

Das OLG hebt den Beschluss der Vergabekammer auf. Dem öffentlichen Auftraggeber (AG) stehe ein Beurteilungsspielraum bezüglich der Frage zu, ob – auftragsbezogene – technische oder wirtschaftliche Gründe es erfordern, von der Bildung von Fachlosen abzusehen. Ein solcher Spielraum sei dem AG insbesondere dann zuzubilligen, wenn komplexe projektbezogene Risikopotenziale zu beurteilen sind. Das Gericht stützt sich hier auf Entscheidung des OLG Frankfurt (Beschluss vom 14. Mai 2018, IBR 2018, 461), wonach sich der AG mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen auseinanderzusetzen und so-dann eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange zu treffen hat, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende vergabesprechende technisch wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssen. Dies sei vorliegend der Fall. Der öffentliche Auftraggeber habe projektbezogen dargelegt, dass für Einzelarbeiten der komplexen Sicherheitsanlage keine Fachlose gebildet werden können, ohne die Funktionsweise der Gesamtleistung zu gefährden. Die Systemsicherheit der Überwachungsanlage ist hier ein nachvollziehbar technischer Grund im Sinne des § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB.

Praxishinweis

Während das Gericht in seiner Entscheidung aus 2015 dem öffentlichen AG noch einen erheblichen Begründungsaufwand in Bezug auf jedes abgrenzbare Einzelgewerk abverlangte, erlaubt es dem AG in der aktuellen Entscheidung richtigerweise eine Fokussierung auf die Frage, welche Gründe für eine gesamthafte Vergabe sprechen. Bei dem Bau einer Justizvollzugsanstalt steht die Sicherheit im Vordergrund, was nach der Entscheidung des OLG als tragfähiger Grund für eine gesamthafte Vergabe gelten darf.

Dr. Ulrich Dieckert,
Rechtsanwalt