-kein Angebot eingegangen ist, das den Ausschreibungsbedingungen entspricht
-die Vergabeunterlagen grundlegend geändert werden müssen, oder
-wenn andere schwerwiegende Gründe bestehen.
Es dürfte naheliegen, dass sich die Vergabestellen bei einer Aufhebung insbesondere auf den dritten Punkt, nämlich auf „schwerwiegende Gründe“ berufen. Inwieweit dies jedoch sanktionsfrei möglich ist, muss in jedem Einzelfall geprüft werden. Denn nach der Rechtsprechung sind strenge Anforderungen an das Vorliegen eines solchen Grundes zu stellen; außerdem ist eine Aufhebung schon dann unzulässig, wenn ein milderes, gleich geeignetes Mittel in Betracht kommt. So könnte man Vergabeverfahren im Stadium vor Angebotsabgabe beispielsweise „aufs Eis legen“, indem man die Angebotsfristen für eine ausreichende Zeit verlängert. Sind die Angebote hingegen schon abgegeben, so geraten Bindefristverlängerungen schnell an ihre Grenzen, weil man die Bieter nicht für längere Zeiträume an ihre Angebote binden und damit in ihrer Dispositionsfreiheit behindern darf.
In jedem Fall berechtigen nur nachträgliche, nicht vorhersehbare Umstände oder solche anfänglichen Umstände, die der öffentliche Auftraggeber im Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens auch bei pflichtgemäßer Sorgfalt nicht hätte erkennen können, zu einer sanktionsfreien Aufhebung. Das heißt im Klartext: bei Vergabeverfahren, die im März 2020 eingeleitet wurden, wird sich der öffentliche AG auf coronabedingte Aufhebungsgründe kaum mehr berufen können, bei Verfahren von Anfang des Jahres 2020 möglicherweise schon noch!
Gleichwohl kann der AG von der Rechtsprechung nicht daran gehindert werden, Vergabeverfahren aufzuheben, wenn dafür triftige Gründe bestehen und die Aufhebung nicht zu dem Zweck erfolgt, bestimmte Bieter zu bevorzugen und andere zu diskriminieren (sog. Scheinaufhebung). Stehen dem AG in einem solchen Fall keine der Aufhebungsgründe aus § 16 Abs. 1 VOB/A zur Seite, schuldet er allen Bietern, die sich im Vertrauen auf eine ordnungsgemäße Ausschreibung beteiligt haben, den Ersatz solcher Kosten, die im Rahmen der Bewerbung entstanden sind (sog. negatives Interesse). Wesentlich höher sind die Schadensersatzansprüche eines Bieters, wenn sein nach Submission an erster Stelle liegendes Angebot aufgrund der Aufhebung nicht beauftragt wird, der Auftrag aber zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund einer neuerlichen Ausschreibung einem anderen Bieter erteilt wird. In diesem Falle kann zumindest der entgangene Gewinn als Schaden geltend gemacht werden (sog. positives Interesse). Nimmt der AG hingegen von seinem Beschaffungsvorhaben endgültig Abschied, dann entfallen derartige Ansprüche.
Unternehmen ist daher anzuraten, die Gründe möglicher Aufhebungen kritisch zu hinterfragen, insbesondere wenn es sich um kürzlich eingeleitete Vergabeverfahren handelt. Vergabestellen sollten ihre Vergabetätigkeit einstweilen aussetzen oder nur solche Bauvorhaben ausschreiben, von denen sicher ist, dass diese auch planmäßig betreut und durchgeführt werden können.
Dr. Ulrich Dieckert
Rechtsanwalt